Zum Inhalt springen

Sunt pueri pueri, pueri puerilia tractant 

Forum Filmregie Filmkritik

Filmkritiker Olaf Möller über Regisseurin Lisa Weber

Es ist eigentlich egal, ob Lisa Weber nun einen Spiel- oder einen Dokumentarfilm gestaltet, weil am Ende immer dasselbe passiert: Zeit vergeht, alldieweil geraucht oder gesprochen oder sich gekabbelt wird. Kurios und dann aber auch nur schlüssig ist, daß es entweder Teenager sind oder Senioren, welche da die Zeit durchbummeln: Die Jugendlichen hängen ab auf Spielplätzen, für die sie eigentlich schon zu groß sind (ja – nein – vielleicht, 2009), fläzen sich auf Parkbänken (Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens, 2009), lungern herum im Hinterzimmer eines Buchladens (Twinni oder so, 2012), wenn sie nicht ganz schlicht daheim in der Bude hocken (Jetzt oder morgen, 2020), während die Senioren mal in Cafés verweilen und mal in Restaurants (Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens), zu Haus selbstverständlich auch (Kommt ein Sonnenstrahl in die Tiefkühlabteilung und weicht alles auf, 2010), dann aber ganz weit weg reisen können, an Orte, wohin Jugendliche allein nie kämen, aber manchmal als Enkelin von den Großeltern mitgenommen werden (Sitzfleisch, 2014). Die Generation dazwischen, also die Eltern, sind hingegen fast immer abwesend, gefühlt selbst dann, wenn man sie sieht, wie etwa in Happy Birthday, Oma (2009): Sie spielen einfach keine reale Rolle in diesem Kosmos der Verzögerungen und Sehnsüchte, Erniedrigungen und Erkenntnisse, denn dafür haben sie keine Zeit und auch keine Muse. Eltern hackeln, müssen funktionieren. Nur wenn sie die Regeln des Erwachsenenseins hinter sich lassen, ob freiwillig oder nicht – wurscht –, wenn sie also Tagediebe werden, indem sie sich verhalten wie Kinder oder Greise, dann sind sie da, siehe Jetzt oder morgen, wo die Generationen manchmal nur schwer auseinanderzuhalten sind, selbst wenn man die Altersunterschiede sieht (In der gemeinsam mit Michael Kofler & Angela Scholz & Leonie Wieser 2007 gestemmten wienXtra-Auftragsarbeit |: (1)00 dB Arbeit :| gibt’s sogar einmal die arbeitende Bevölkerung in ihrem Alltag zu sehen; alldieweil, dies en passant, es in der 2011er Etüde Die und der von da und dort eine andere, ihrem Werk bislang eher fremde Gruppe zu sehen und zu hören ist: Auswärtige – wobei Weber ihre Großeltern und irgendwo auch sich selbst Jahre später in Sitzfleisch beim Touristsein beobachten wird).


Spielfilme, bei denen man das Gebaute, Gestellte klar sehen kann und soll, macht Weber, wenn das, was sie zeigen will, sich nicht so einfach aus der Wirklichkeit heraus erwarten läßt, siehe vor allem Twinni oder so, da ein potentiell übergriffiger Mann, der einem weiblichen Teenager per Schwimmeinladung nachsteigt, nicht einfach mal so auftaucht und sich in seiner wenig legalen Geilheit filmen läßt. Aber das ist für Webers Verhältnisse schon ein fast existentieller Moment: Wenn aus dem Spiel eine Ahnung von Ernst wird – wenn man aus dem Schutzraum Hinterzimmer, wo man großmäulig ein erwachsen tuendes Selbst für die Freundin performen kann, der Ernst eines öffentlichen Raumes wird, in diesem Fall sogar der Warenwelt. Twinni oder so kommt grosso modo strenger als z.B. der Anfang von Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens, in dem zwei etwas assig sich gebende Mädchen einen leicht teigigen Bub erst um eine Zigarette angehen und ihn dann herunterputzen, wie das in der Altersgruppe Zwölf-Dreizehn-Vierzehn-plusminus schon mal passiert: das Bild ist luftiger kadriert, das Spiel wirkt etwas linkischer – hier geht’s um nichts Existentielles. Zudem hat Twinni oder so etwas von einer konzis erzählten, klar ausgeformten Anekdote, während Weber ansonsten eher das Fragmentarische, Fließende, Offene schätzt – ein Moment nach dem anderen.


Die Grenzen zwischen Spiel- und Dokumentarfilm lösen sich mit Jetzt oder morgen gänzlich auf, auch wenn man ihn rein formal problemlos letzteren zuschlagen kann, Unterkategorie: Langzeitbeobachtung. Dabei hat man allerdings nie den Eindruck, Weber würde etwas beobachten, allein schon weil sie selber so gegenwärtig ist, einfühlsam wie interessiert (in Sitzfleisch gab sie sich hingegen gern verschmitzt kratzig). Es ist eher so, daß Weber aus dem Leben, an dem sie stunden- oder tageweise Teil hat, eine Erzählung formt, die nichts Demonstratives hat und nichts Beweisendes, die einem nichts vorführt aus dem Leben der unteren Mittelklasse, die nichts wertet und nichts erwartet von den Protagonisten, sondern ihnen Raum gibt, damit die Möglichkeit, Bedeutung, Aura aufzubauen – Kunstfiguren als sie selbst zu sein. Und ist es nicht das, wovon wir alle träumen: Protagonisten zu sein unseres Lebens statt Rollen spielen (zu müssen), die einem von der Gesellschaft zugewiesen werden?

(Olaf Möller, Februar 2023)